Der Fortschritt hat sich in Tegel eingenistet, in grauem Beton. Und das an einem Ort mit ziemlich viel Gestern, einem Lost Place, der seine wuseligen Zeiten längst hinter sich hat und nun in einem seltsamen Dazwischen verharrt: zwischen leise gewordenem Abgesang und großen Entwürfen für einen Aufbruch. „Nichts ist entschieden, alles ist offen“, sagt Alexander Voigt, der in einem schlichten Zimmer auf halbfertiger Büroetage empfängt. „Wir werden von hier aus abheben – und das nach ganz oben.“
Voigts Gründergeist, von dem noch die Rede sein wird, hat ihn diesmal nach Tegel auf den stillgelegten Berliner Airport gebracht. Schließlich soll dort auf 1,3 Millionen Quadratmetern ein supermoderner Forschungs- und Industriepark entstehen. Für den Green-Tech-Visionär der passende Platz, von dem aus sich Deutschlands Energieversorgung revolutionieren lässt. Oder waren es doch nur die günstigen Mietpreise für das von der Deutschen Post leer geräumte Flughafengebäude, in dem ihre Tochter DHL einst Luftfracht-Chargen disponierte?
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Mag sein, aber Voigt denkt zuallererst mal groß. Und lässt doch bei aller vorgeführten Euphorie die Kosten nicht außen vor. „Revolution ja“, sagt er. „Aber sie muss sich auch rechnen. Und das rechnet sich auch, wenn wir von hier aus den Aufbau unserer Wasserstoffkraftwerke steuern und vorantreiben.“
Wasserstoff: Halb Deutschland redet sich mit dem Modemolekül beinahe selbstbeschwörerisch zukunftsfähig. Immerhin eröffnet sich mit seiner massenweisen Produktion die Chance, fast eine komplette Volkswirtschaft klimafreundlich zu machen. Ganze Industriezweige – von der Stahlindustrie, den Zementwerken bis hin zur chemischen Industrie, dazu Schiffe, Flugzeuge oder Kraftwerke – sollen so schnell wie möglich von Kohle, Gas oder Öl auf Wasserstoff umsteigen.
So die Hoffnung, die sich an dem „Öl des 21. Jahrhunderts“ festmacht. Einem Stoff, der sich mithilfe erneuerbarer Energien, mit Wind- und Sonnenkraft, aus Wasser herstellen lässt, klimaneutral und scheinbar in beliebigen Mengen.
Scholz und Habeck reisen für den vermeintlichen „Zauberstoff“ um die Welt
Schon bieten sich für die Herstellung des grünen Stoffs an allen Ecken und Enden der Welt Lieferanten reihenweise an – siehe Kanada, Australien, Kolumbien, Katar oder in Afrika Namibia, Kenia und andere. Viele von ihnen haben durch weite Flächen, durch lang anhaltende Wind-und Sonnenscheinphasen besonders günstige Voraussetzungen für erneuerbare Energien und die darauf basierende Produktion von Wasserstoff. Nicht umsonst reisen Bundeskanzler und sein Wirtschaftsminister um den Globus, um sich künftige Lieferanten für den „Zauberstoff“ zu sichern. Mit deren Hilfe, so ihre Vision, könnte „Deutschland zur Wasserstoff-Republik“ aufsteigen.
Viel Verheißung aus der Politik also. Fachleute aus der Energiebranche haben allerdings ein durchaus berechtigtes „Ja, aber“ im Kopf. Wasserstoff kann sicherlich die Energiewende immens vorantreiben. Doch der Teufel, das weiß der Physiker Voigt nur zu gut, steckt auch diesmal im Detail.
Für seine Erzeugung braucht es zunächst einmal immens viel Energie. Für den Transport nicht viel weniger. Wasserstoff muss mit enormer Kälte verflüssigt oder etwa zu Ammoniak gewandelt werden. Dann braucht es Tankschiffe, die ihn transportieren, Häfen, bei denen die Spezialtransporter ihre hochflüchtige Fracht löschen können, nebst Anlagen, die wieder mit viel Energie das Ammoniak in Wasserstoff wandeln, und schließlich Leitungen zu den industriellen Abnehmern, die ihre Anlagen auf den Betrieb mit Wasserstoff umstellen müssen.
Optimistisch: Alexander Voigt in der ehemaligen Luftfrachthalle des Flughafens TegelBenjamin Pritzkuleit
Und an allem fehlt es noch. Steckt also die Zukunft fest, bevor sie überhaupt begonnen hat? Oder steht die Ampelkoalition mit ihrer grünen Energiewende gar schon jetzt vor einem „Scherbenhaufen“, wie der namhafte Ökonom Hans-Werner Sinn behauptet? Die ganze Bewegung ein einziger Bluff?
Zumindest sind alle Selbstgewissheiten der Branche und der Förderer aus der Politik ziemlich porös geworden. Da mag die Politik noch so von ihren Erfolgen in Sachen alternative Energien trommeln und damit so tun, als habe man die Sache nach jahrelangem Schlendrian endlich in Griff bekommen.
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Anders als die Kritiker sieht der bald 58-jährige Unternehmer Voigt zunächst einmal die Chancen, die sich aus dem notwendigen Wandel bei allen damit verbundenen Problemen für Produzenten wie Verbraucher ergeben. Und damit auch für sein 2021 gegründetes Start-up HH2E (ein Kürzel für Wärme, Wasserstoff, Energie), dessen Adresse nun der Ex-Post-Hangar in Tegel ist.
Wieder so ein Beweis, dass bei Voigt der unternehmerische Ehrgeiz längst noch nicht verblichen ist. Die damit verbundene Aussicht auf noch mehr Geld ist längst kein Lockmittel mehr für den Gründer von mindestens zwei Dutzend Firmen. Dabei hat er, wie er beiläufig bekennt, „lange Jahre geackert wie blöd“. Und das wiederum auch wegen des Geldes, das ihm die Freiheit verschafft hat, sein Leben, beruflich wie privat, nach seinem Gusto zu verbringen.
Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck reist in Sachen Energie um den Globus. In Norwegen besuchte er Anfang Januar ein Unternehmen, das Elektrolyseure zur Gewinnung von grünem Wasserstoff herstellt.Kay Nietfeld/dpa
Vielleicht mehr wegen Anerkennung, die freilich heutzutage unter jüngeren Generationen nicht mehr unbedingt nachgefragt wird. Vor allem aber wollte der inzwischen grauhaarige Gründer, ganz sachlich gesehen, seiner Umwelt wieder mal den Beweis liefern, dass das, was in seinem Kopf in Sachen alternative Energiegewinnung herumschwirrte, praktisch zu machen ist. Und man damit dann auch noch gut Geld verdienen kann. Das wohl ist Voigts eigentliches Kriterium für den Erfolg.
In Frankfurt am Main ist er geboren, in Darmstadt zur Schule gegangen, in Berlin hat er studiert. Physik, Mathematik und Meteorologie. Doch er ist weder Physiker noch Mathematiker in der Wissenschaft und auch kein Wetterfrosch geworden, sondern einer der ersten Öko-Unternehmer hierzulande, der, wie er gern betont, die Welt ein gutes Stück grüner machen will.
Sein Thema: Der Klimawandel und die Gefahren, die damit verbunden sind
Schon als Student forschte er über den Zusammenhang von globaler Erwärmung und auf dem Boden auftretenden Windgeschwindigkeiten. Die daraus gezogenen Erkenntnisse seien für ihn ein „Aufweckmoment“ gewesen, sich mit dem Klimawandel und den damit verbundenen Gefahren für die Menschheit intensiver zu beschäftigen. „Damals habe ich mein Thema gefunden“, sagt er. „Eben nicht als Wissenschaftler, sondern als Unternehmer.“
Seine erste Solaranlage baute er mit Anfang 20 für seinen Vater. Der passionierte Jäger und Angler wollte bei seinen bisweilen langen Aufenthalten in den grünen Revieren partout nicht auf die „Sportschau“ im Fernsehen verzichten. „Dieses merkwürdige Vergnügen habe ich ihm mit meiner mobilen Solaranlage verschafft“, sagt Voigt. „Aber das war nicht mehr als eine lustige Tüftelei.“
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Unternehmerisch ging es für ihn Mitte der 90er-Jahre richtig los, als Voigt mit Gleichgesinnten und Freunden sowohl Solon als auch Q-Cells gründete, die schnell zu deutschen Solarpionieren und später auch zu Börsenstars (Neuer Markt) aufstiegen. Geblieben davon ist nicht viel, weil beide Firmen durch verfehlte staatliche Förderpolitik, eigene Managementfehler und den Masseneinstieg hoch subventionierter chinesischer Solarfirmen schlichtweg vom Markt gefegt wurden – mit allen Folgen für fast die gesamte deutsche und europäische Photovoltaikindustrie.
Entmutigt hat Voigt das nicht. Im Gegenteil, mit den Jahren ist er gelassener geworden. Dabei hat sich das Auf und Ab im unternehmerischen Leben des selbsternannten „Taufpaten der deutschen Solarindustrie“ immer weiter fortgesetzt. Wie das nun mal so ist im volatilen Start-up-Geschehen. Was dazu geführt hat, dass er durch seine Geschäftsideen, Firmengründungen und -beteiligungen viel Geld verdient, aber auch nicht wenig wieder verloren hat.
TXL, der ehemalige Flughafen Tegel, ist heute ein Lost Place, der seine wuseligen Zeiten längst hinter sich hat und nun verharrt zwischen leise gewordenem Abgesang und großen Entwürfen für einen Aufbruch.Benjamin Pritzkuleit
Trotzdem ist er drangeblieben, ist zu einem der bekanntesten deutschen „Serial Entrepreneurs“ im Bereich erneuerbare Energien aufgestiegen. So war der Serienunternehmer unter anderem an der Entwicklung von Europas erster Großbatterie auf Natrium-Schwefel-Basis beteiligt. Mit der von ihm gegründeten Firma Lumenion wiederum hat er einen Hochtemperaturspeicher auf den Markt gebracht, mit dem grüne Energie als Wärme gespeichert werden kann.
Bei HH2E nun hat Voigt einen Trupp von Überfünfzigjährigen mit divers schillernden Biografien um sich geschart. Der wichtigste Mitstreiter ist vielleicht Andreas Schierenbeck, einst Vorstandschef beim Energiekonzern Uniper, der mit Voigt das Unternehmen führt. Hinzu kommen ein Managementberater, eine Ex-Bundesumweltministerin und nicht zuletzt ein Anwalt in Sachen Energie, der nebenbei noch seine eigene Weinkellerei führt.
Gemeinsam haben sie den Ehrgeiz, ein schnell wachsendes Unternehmen in der Sparte Energie auf dem Markt zu etablieren, das mit seinem Leistungsangebot umgehend in die schwarzen Zahlen fährt und sich vielleicht sogar einen Einhornstatus zulegen kann – also zu einem Start-up wird, das binnen kurzer Zeit mit mehr als einer Milliarde Euro bewertet wird.
Das Kraftwerk soll kontinuierlich Dampf, Wasserstoff oder direkt Strom liefern
Ihr konzipiertes Kraftwerk, ausgerüstet mit Wärme- und Stromspeicher sowie Elektrolyseanlage und Brennstoffzelle, wird kontinuierlich Dampf, Wasserstoff oder direkt Strom an Industriekunden oder Kommunen rund um seinen Standort liefern. Und das zu wettbewerbsfähigen Preisen, weil die Betreiberfirma Wind- und Sonnenstrom vor allem dann einkauft, wenn er im Überfluss angeboten wird und damit billig ist. Täglich vier Stunden Ökostrom, so HH2E-Gründer Voigt, reichten aus, um die Kunden rund um die Uhr mit Dampf, Wasserstoff oder eben gleich mit Strom zu beliefern.
In der ersten Projektphase, in der das Unternehmen zusammen mit Finanzinvestoren bis 2030 knapp drei Milliarden Euro investieren will, geht es zunächst um Kraftwerke mit einer Leistung von 100 Megawatt (MW). Bis 2030 will man dann HH2E-Anlagen im Umfang von 4000 MW in Betrieb gesetzt haben. Vor allem an Orten beziehungsweise Regionen, wo Grundstücke billig und Industrieansiedlungen hoch willkommen sind. „Allesamt Lost Places“, sagt Voigt. „Und die finden wir vor allem im Osten Deutschlands.“
Das LNG-Verarbeitungsschiff „Neptune“ liegt im Industriehafen von Lubmin. In Lubmin ist auch ein HH2E- Kraftwerk geplant, das mit grünem Strom von den drei Offshore-Windparks vor der Küste betrieben werden soll.Stefan Sauer/dpa
Von wegen Lost Place. In Lubmin am Greifswalder Bodden, dort, wo die inzwischen stillgelegten Pipelines von Nord Stream 1 und 2 anlanden und seit Jahren die Demontage des Atomkraftwerks KKW Nord läuft, ist statt bleierner Ruhe helle Hektik eingezogen. Lubmin soll mithelfen, die drohende Energieknappheit aus der Welt zu schaffen und sich so nach dem Flop mit dem russischen Gas auch eine neue wirtschaftliche Zukunft sichern – mit zwei Terminals für Flüssigerdgas (LNG) und mit dem geplanten HH2E- Kraftwerk, das mit grünem Strom von den drei Offshore-Windparks vor der Küste betrieben werden soll.
Kaum aber ist der erste Terminal in Betrieb, gibt es Streit. Anwohner beklagen etwa den Lärm der anlandenden Transportschiffe, der vom Lubminer Hafen in die Gemeinde dringt. Axel Vogt, Anwalt, Rettungsschwimmer und ehrenamtlicher Bürgermeister, glaubt nicht so recht daran, dass das verflüssigte Gas ein zukunftsträchtiges Geschäft für die Gemeinde wird. Die Zukunft Lubmins liege im Wasserstoff, davon ist er fest überzeugt. „Mit den Windparks und dem erschlossenen Gelände des ehemaligen KKW haben wir hier doch den perfekten Standort.“
Das findet Voigt natürlich auch. Geht es nach HH2E-Plänen, wird in Lubmin noch in diesem Jahr Baubeginn und spätestens in drei Jahren Produktionsstart sein. Weiter südlich in Thierbach bei Borna, wo zu DDR-Zeiten ein Braunkohlekraftwerk Strom lieferte, soll demnächst ebenfalls grüner Wasserstoff produziert werden. Und Voigt kündigt für dieses Jahr weitere Standorte an.
Er weiß, dass man sich mit dieser Art Ankündigungspolitik schnell zum Schwätzer qualifizieren kann, wenn denn konkrete Ergebnisse ausbleiben. Doch er quasselt nicht dummes Zeug, ist frei von Gefallsucht und von Angst durchzufallen. Sicher, er würde gern in dieser Start-up-Welt der Kopien ein Unikat sein. Und in gewisser Weise ist er das auch schon – mit seinem Zwang zum Durchhalten und Weitermachen.